Unsere SHG im Interview

Vor einiger Zeit führten wir ein schriftliches Interview in dem wir unsere Selbsthilfegruppe und unsere Arbeitsweise geschildert haben. Teile dieses Interviews werden hier veröffentlicht.
Wir hoffen, dass wir hierdurch weiteres Vertrauen und Transparenz herstellen können und, dass sich dadurch weitere Betroffene ermutigt fühlen, sich uns anzuschießen

Wie ist Aus!Tausch Osnabrück entstanden?
Wir waren alle lange – teilweise sehr lange – auf der Suche nach einem Angebot für betroffene Männer in oder um Osnabrück. Aus Mangel an diesem folgte ein Aufruf eines Betroffenen in der Presse, eine solche Gruppe zu gründen.

Das erste Treffen unserer Selbsthilfegruppe fand im November 2020 statt. Seitdem treffen wir uns regelmäßig.

Wie kann man sich den Ablauf einer Sitzung vorstellen?
Wir beginnen unsere Treffen mit dem Besprechen von organisatorischen Angelegenheiten. Dazu gehören u.a. Anfragen, die uns per Mail erreichen, Sachen zu unserer Finanzierung, Ideen zu unserer Öffentlichkeitsarbeit aber auch konkrete Anfragen von Betroffenen selbst. 

Im Anschluss starten wir mit einer Blitzlichtrunde. Jeder erzählt kurz, wie es ihm geht und ob in der letzten Zeit irgendetwas Besonderes vorgefallen ist. Oft ergibt sich schon daraus ein Gespräch. Nach dieser Blitzlichtrunde ist Raum für Fragen an die anderen oder der Austausch über Themen, die die Mitglieder beschäftigen.

Wie lange dauert eine Sitzung?
In der Regel dauern unsere Sitzungen nicht länger als zwei Stunden.

Wie viele Teilnehmer nehmen im Durchschnitt an einer Sitzung teil?
Vor einigen Wochen mussten wir unsere Gruppe, trotz Anfragen weiterer Betroffenen, für Neumitglieder schließen. Wir sind sechs Teilnehmer – bei einer höheren Anzahl können wir die individuelle (Gesprächs)Zeit jedes Einzelnen nicht mehr gewährleisten und haben uns zu diesem Schritt entschlossen. Wir führen seitdem eine Warteliste, um (bei Bedarf) eine weitere Gruppe gründen zu können oder ausscheidende Mitglieder zu ersetzen.

Natürlich kann es sein, dass jemand von den sechs Mitgliedern krank oder verhindert ist. Im Schnitt nehmen aber meistens mindestens vier Mitglieder an den Treffen teil.

Wo liegt so das Alter der Teilnehmer?
Wir sind derzeit zwischen 37 und 70 Jahren.

Wie oft findet eine Sitzung statt?
Unsere Treffen finden zweimal im Monat statt.

Wie ist die Atmosphäre bei einer Sitzung?
Wir sitzen in einem Stuhlkreis mit angenehmer Nähe und Distanz zueinander. Bei Bedarf stellen wir leere Stühle auf, um die fehlenden Mitglieder darzustellen.

Was ist der Inhalt einer Sitzung?
Die Inhalte werden durch die Mitglieder der Gruppe selbst bestimmt.
Häufig kommen Erlebnisse oder Trigger der jüngsten Vergangenheit zur Sprache mit dem Wunsch nach Feedback.
Viele von uns machen eine ambulante Psychotherapie. Auch aus diesen Sitzungen wird gelegentlich erzählt, wenn sich daraus neue Fragen ergeben haben. Außerdem sprechen wir über die durch den Missbrauch entstandenen Schwierigkeiten im Alltag. Dazu gehören u.a. häufig Angststörungen, Bindungsängste oder -probleme, Alltagsbewältigung oder Schwierigkeiten mit dem Selbstwertgefühl.

Was gibt es für Erfolge der Selbsthilfegruppe?
Der größte Erfolg der Gruppe liegt in der Gruppe selbst.
Wie erwähnt, waren wir alle lange auf der Suche nach einem Angebot für betroffene Männer.

Nach ein paar Monaten des Kennenlernens starteten wir unsere Öffentlichkeitsarbeit. Wir erstellten Flyer und eine Homepage. Die Flyer haben wir eigenständig an Einrichtungen verteilt. Auf unserer Homepage stellen wir regionale und überregionale Angebote und Institutionen dar, die sich dem Thema angenommen haben. Gleichzeitig dient die Homepage als Werbung für unsere Gruppe und soll andere Betroffene ermutigen, sich zu öffnen.

Ein großer Erfolg ist unsere niedrigschwellige Ansprechbarkeit über Whatsapp. Sämtliche neueren Anfragen von Betroffenen fanden über diesen Weg statt. In einem ersten Chat werden Fragen beantwortet, gegenseitiges Vertrauen aufgebaut und der Kontakt aufrecht gehalten.

Inzwischen sind wir ein fester Bestandteil des Osnabrücker Selbsthilfenetzwerkes geworden.
Wir haben erstmals einen Infotisch beim Osnabrücker Selbsthilfetages gestellt und sind von den positiven und ermutigenden Rückmeldungen gestärkt worden. Im letzten Jahr wurden wir für unserer ‚herausragendes ehrenamtliches Engagement‘ durch die Stadt Osnabrück geehrt.

Gibt es auch Misserfolge?
Besonders große Misserfolge gab es nicht. Wir mussten aber feststellen, dass das Harmonieren der Mitglieder für eine gute Zusammenarbeit unerlässlich ist. Das hat leider nicht immer gepasst und so sind Mitglieder selbstständig gegangen ohne, dass wir als Gruppe handeln mussten.
Ein Beispiel: Unsere Gruppe hat sich inmitten der Anfangsphase der Pandemie gegründet und hat sich, trotz der unsicheren Situation und der behördlichen Auflagen, kontinuierlich getroffen. Dabei legten wir, auch aufgrund von Vorerkrankungen einzelner Mitglieder, großen Wert auf die Hygienemaßnahmen. Dazu gehörte selbstverständlich auch das Tragen einer Maske. Leider ging das einem Mitglied zu weit und er trat aus

Falls möglich zu beantworten: Was haben die Betroffenen so erlebt?
Die Art und der Umfang des erlebten Missbrauchs ist sehr vielfältig. Am häufigsten findet sexueller Missbrauch innerhalb von Familien statt: Einige Mitglieder unserer Gruppe sind von familiärem Missbrauch oder von Tätern aus dem nahen sozialem Umfeld betroffen. Dabei handelte es sich um Freunde oder Bekannte. Es gab aber auch institutionellen Missbrauch, z.B. im kirchlichen Kontext, in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe oder im Kindergarten.

Auch die Häufigkeit des erlebten Missbrauchs variiert. Bei Manchen war es einmalig oder selten, bei Anderen über viele Jahre sehr regelmäßig. Auch die Anzahl der beteiligten Täter ist unterschiedlich.

Redet in jeder Sitzung immer jede einzelne Person?
Jeder redet soviel er möchte. Die Motivation, die Bereitschaft und die Fähigkeit sich zu öffnen ist natürlich von unterschiedlichen, besonders persönlichen, Faktoren abhängig.

Wie lange nehmen Personen das Angebot der Selbsthilfegruppe wahr?
Es gibt kein festgelegtes Ende der Mitgliedschaft.

Gibt es eine starke Fluktuation der Teilnehmer oder gibt es einen “harten Kern” der immer mit dabei ist?
Unsere Gruppe ist auf Beständigkeit ausgelegt. Eine zu hohe Fluktuation schadet dem vertrauensvollen Umgang. Außerdem erlangen wir mit der Zeit alle den gleichen Kenntnisstand über unsere Geschichten. Ein häufiges Wiederholen ist bei der kontinuierlichen Arbeit eher hinderlich. Jedes Erzählen ist zudem ein (Rück)blick in einer schwere und belastende Zeit.

Darf man an einer Sitzung teilnehmen und einfach nur zuhören (wenn man noch nicht bereit ist selbst seine Erfahrungen mitzuteilen)?
Vor der ersten Teilnahme findet ein Kennenlerntreffen statt. Bei diesem Treffen unter vier Augen in einer angenehmen Atmosphäre wird die Gruppe vorgestellt, das gleichzeitig zum gegenseitigen Vertrauensaufbau dient. Häufig ist dieses Gespräch für Betroffene die erste Möglichkeit überhaupt, mit einem anderen Betroffenen in persönlichen Austausch zu kommen. Gleichzeitig werden Wünsche und Erwartungen angesprochen, um möglicherweise falsche Vorstellungen auszuräumen. Danach wird beim nächsten Gruppentreffen über das Gespräch berichtet. Dabei werden keine Inhalte des Gespräches preisgegeben, nur oberflächlich von den Eindrücken erzählt. Sollte sich die Gruppe dazu entschließen – was bisher immer der Fall war – wird der Mensch zum nächsten Treffen eingeladen.

Da sich viele Menschen schon sehr lange mit dem erlebten Missbrauch auseinandersetzen besteht selbst ein großer Wunsch nach Austausch mit Betroffenen. Wir haben keine Erwartung an den Umfang oder Inhalt der Erzählungen und wissen natürlich, dass es zur Öffnung einer vertrauensvollen Atmosphäre bedarf. Diese Zeit geben wir jedem.

Was sind Unterschiede zu einer Professionellen Beratung (damit soll in keinster Weise die Selbsthilfegruppe als unprofessionell gesehen und gewertet werden)
→ Professionelle Beratung meint in diesem Zusammenhang staatlich geförderte Anlaufstellen mit teilweise anerkannten Ausbildungen

Der größte Unterschied zu einer professionellen Beratung besteht darin, dass unsere Selbsthilfegruppe selbstorganisiert ist. Das bedeutet, dass es keine Redeleitung  gibt. Es gibt niemanden, der besondere Rechte hat. Entscheidungen werden im Konsens beschlossen. Auch dieses Interview wurde allen Mitgliedern zur Freigabe vorgelegt. So möchten wir niemanden übergehen.

Darüber hinaus bringen wir alle hilfreiche eigene (Lebens)Erfahrungen mit. Dazu gehören auch eigene Therapieerfahrungen, aber auch Erfahrungen aus den unterschiedlichen Berufen in der sozialen- oder therapeutischen Arbeit.

Da wir nicht therapeutisch angeleitet werden müssen wir von unseren Mitgliedern erwarten, dass erstens der Missbrauch vorbei ist und zweitens eine psychische Grundstabilität vorhanden ist. Letzteres bedeutet selbstverständlich nicht, dass Krisen nicht stattfinden dürfen oder können.

Wie geht es neuen Teilnehmern bei ihrer ersten Sitzung?
Das lässt sich wahrscheinlich nicht universell beantworten. Für die meisten ist das Hören der individuellen Geschichten natürlich eine schwere Last. Gleichzeitig ist das Erzählen der eigenen Geschichte auch oft sehr belastend. Für mich hat sich ein Gefühl von großer Befreiung aufgetan. Das Gefühl, nicht (damit) alleine zu sein hat diese Last gemindert. Gleichzeitig hilft der Austausch über die Auswirkungen des erlebten Missbrauchs, seine eigenen Probleme nicht isoliert und alleine zu betrachten. Das Gefühl ein Opfer zu sein wandelt sich zu einem Betroffenen (von sexualisierter Gewalt). Ein kleines Wort mit großer Bedeutung.